Michaela Runknagel lebt ihren Traum: Vor fast acht Jahren ist die 52-Jährige von der Schwäbischen Alb an die Ostsee gezogen. Auf Fehmarn hat sie eine neue Heimat mit einem erfüllenden Ehrenamt gefunden – seit 2019 engagiert sie sich auf der Insel als freiwillige Seenotretterin.
Schicksalsschläge in ihrem nahen Umfeld lassen Michaela und Ralph Runknagel ihren Lebensplan überdenken. Eigentlich wollten sie als Rentner in den westlichen Zipfel Frankreichs auswandern: In die schroffe Landschaft der Bretagne mit ihren gewaltigen Klippen, den vom Meer tief eingeschnittenen Buchten und einsamen Stränden hatten sie sich 1991 gleich in ihrem ersten gemeinsamen Urlaub verguckt. „Das Meer mit seiner Weite, die Ruhe und dieser freie Blick hat uns einfach magisch angezogen“, schwärmt Michaela Runknagel noch heute. Als Mitte der 2010er-Jahre in ihrer Familie und ihrem Freundeskreis aber einige liebgewonnene Menschen völlig unerwartet sterben, wollen sie nicht mehr warten. Innerhalb eines Jahres brechen sie ihre Zelte auf der Schwäbischen Alb ab und bauen sie an der Ostseeküste neu auf – das ursprüngliche Ziel Bretagne ist für sie aus verschiedenen Gründen unerreichbar.
„Die Menschen sind hier füreinander da, lassen einem aber auch genügend Freiheit. Es sind Kleinigkeiten, die das Leben hier lebenswert machen.“
Für die Familie ist es dennoch ein kompletter Neuanfang. „Wir waren vorher noch nie in Norddeutschland“, gesteht Michaela Runknagel. Nord- oder Ostsee, Festland oder Insel? Schnell ist klar: Sie wollen auf eine Ostseeinsel ziehen, weil es dort „rundherum immer Meer gibt“, sagt die 52-Jährige und lacht. Die Wahl fällt auf Fehmarn, weil ihr Mann dort eine Stelle als Lehrer findet. Anfang November 2016 sind sie das erste Mal auf der Insel, einige Monate später leben sie dort. Ein sehr mutiger Schritt, den sie „bisher noch keine Sekunde bereut haben“, betont sie. Schnell leben sich die gebürtigen Schwaben ein, fühlen sich bald heimisch. „Die Menschen sind hier füreinander da, lassen einem aber auch genügend Freiheit. Es sind Kleinigkeiten, die das Leben hier lebenswert machen.“
Aufgewachsen ist Michaela Runknagel in Esslingen bei Stuttgart. Manche Sommerurlaube verbringt sie mit ihrer Familie am Bodensee, ist begeisterte Schwimmerin. Doch mehr als das „Schwäbische Meer“ lernt sie in ihrer Kindheit nicht kennen, erst als Erwachsene spürt sie das erste Mal Salzwasser auf ihrer Haut. Nach der Schule absolviert sie eine Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitet bis zu ihrer ersten Schwangerschaft in der Notaufnahme. 2002 zieht sie mit ihrem Mann nach Münsingen, gerade einmal 30 Kilometer südlich von ihrem Geburtsort. Innerhalb von dreieinhalb Jahren wird aus dem Ehepaar eine große Familie – dank ihrer Kinder Mathis, Hannah, Marius und Helen leben schnell sechs Menschen in dem Haus auf der Schwäbischen Alb. In den eigenen vier Wänden baut sich Michaela Runknagel eine Praxis als medizinische Fußpflegerin auf. Daneben engagiert sie sich in ihrer Freizeit beim Deutschen Roten Kreuz: „Ohne Ehrenamt geht es einfach nicht, es ist wirklich wichtig.“ Darum möchte sie sich auch im Norden freiwillig für die Gemeinschaft einsetzen, allerdings auf See. Das erste Mal nimmt die Familie die Seenotretter 2017 in Damp wahr, als sie sich kurz vor ihrem Umzug in dem Ostseebad umsehen: „Mathis entdeckte im Hafen das Seenotrettungsboot und sagte: ‚Da will ich mitmachen!‘“, erinnert sich die 52-Jährige. 2019 steigen Mutter und Sohn auf der Station Fehmarn ein, nachdem der freiwillige Rettungsmann Christian Siemer sie beim Tag der Seenotretter in Burgstaaken „angeworben“ hat. Seit Kurzem ist ihr jüngster Sohn Marius ebenfalls dabei.
SEENOTRETTER WERDEN?
Sie fahren raus, wenn andere reinkommen – rund um die Uhr, bei jedem Wetter: unsere aktuell rund 1.000 Seenotretter. Um andere Menschen selbst unter widrigsten Bedingungen aus Not und Gefahr zu befreien, brauchen sie genau wie Hauke Janssen-Visser reichlich Erfahrung, Können und Mut. Sie haben Interesse und möchten sich ebenfalls an Bord unserer Rettungseinheiten engagieren?
Wie ein Fisch im Netz
Inzwischen ist Michaela Runknagel Bootsführerin und blickt auf ungezählte Übungs-, Kontroll- und Einsatzfahrten mit den auf der Ostseeinsel stationierten Seenotrettungsbooten zurück. Wenn man sie fragt, welches der vielen Erlebnisse in den vergangenen mehr als fünf Jahren ihr besonders im Gedächtnis geblieben ist, berichtet sie von einem dramatischen Einsatz für einen 14-jährigen Kiter. Dieser hatte sich in den Leinen seines Schirms verheddert und wäre ohne das schnelle Eingreifen der Seenotretter vermutlich nicht mehr am Leben. Sie entdeckt ihn mit einem Fernglas in der aufgewühlten See: „Ich stand am Bug und habe plötzlich in der Sonne etwas blinken sehen, darauf haben wir sofort zugehalten.“ Die Seenotretter ziehen den stark unterkühlten Jugendlichen an Bord und versorgen ihn. An Land muss er ins Krankenhaus – und kommt wieder auf die Beine.
Genau deshalb ist Michaela Runknagel bei den Seenotrettern: Sie möchte anderen Menschen in Not helfen, das treibt sie an. Und das geht in ihren Augen nur im Team. „Der Zusammenhalt auf unserer Station ist hervorragend. Wir stehen füreinander ein, jeder kann sich blind auf den anderen verlassen.“ Für sie ist ihr Engagement bei der DGzRS Ehrensache: „Ich mache es sehr, sehr gerne!“ Zumal alle aus ihrer Familie in der neuen Heimat zu leidenschaftlichen Wassersportlern geworden sind.