Du weißt nie, was kommt, heißt es bei den Seenotrettern. Denn kein Einsatz ist wie der andere. Diese Erfahrung hat Frank Weinhold schnell gemacht, als er vor 15 Jahren bei der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) angeheuert hat. Der Zufall führte den heutigen Vormann der Rettungsstation Darßer Ort zur Seefahrt. Dann allerdings war der Weg zu den Seenotrettern kurz.
Der traditionsreiche Begriff Vormann stammt aus der Gründungszeit der DGzRS, als die Seenotretter in offenen Ruderrettungsbooten unterwegs waren. Der Vormann hatte seinen Platz achtern an der Ruderpinne. Er war das einzige Besatzungsmitglied, dessen Blick voraus gerichtet war, das also Gefahren für Boot und Besatzung frühzeitig kommen sah und rechtzeitig reagieren konnte – und musste. Denn die Ruderer an den Riemen saßen mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Ihr Leben lag oftmals in seinen Händen.
Frank Weinhold, Vormann der NIS RANDERS, benannt nach dem Seenotretter im Ruderrettungsboot aus der bekannten Ballade von Otto Ernst, kommt noch heute besondere Verantwortung zu – aber nichts geht ohne das gesamte Team. Mehr als 100 Jahre nach der Zeit von Nis Randers bilden neun fest angestellte und gut noch einmal so viele freiwillige Seenotretter am Darßer Ort eine Besatzung – auf einer sehr traditionsreichen Station, die noch älter als die DGzRS selbst ist. „Ich muss dafür sorgen, dass unser Seenotrettungskreuzer ständig besetzt ist. Wir sind zu viert immer 14 Tage rund um die Uhr einsatzbereit. Wir arbeiten, leben und schlafen an Bord – das ist komplett anders als zu Hause“, sagt Weinhold.
Haushaltsführung, Schiffsführung, Wettermeldungen, Schichtpläne – und natürlich die Einsätze:
Frank Weinholds Worte lassen zweierlei sofort spüren: Der Vormann wird respektiert, und nicht weniger respektiert er seine gesamte Besatzung – #TeamSeenotretter eben, denn: Alleine kann auf See niemand etwas ausrichten. Die Arbeit der Seenotretter ist Teamarbeit, heute genauso wie vor 160 Jahren im Ruderrettungsboot.
Anpacken und helfen – das war schon immer Frank Weinholds Ding. Vor allem aber: frühzeitig zu erkennen, wo Hilfe gebraucht wird. „Ich hatte schon viele Erlebnisse, bei denen ich irgendwie spüre, wenn sich etwas Gefährliches entwickeln könnte. Das kommt einfach so. Ich weiß aus langer Erfahrung, was da draußen passiert und wie es Menschen in gefährlichen Momenten geht. Manchmal genügt es mir zu sehen, wie ein Schiff fährt, um aufmerksam zu werden und zu ahnen, dass an Bord etwas nicht stimmen könnte. Dann fahren wir da ran – lieber einmal zu oft als nicht rechtzeitig genug.“
Nach seinem prägendsten Einsatz braucht man Frank Weinhold allerdings nicht zu fragen, er winkt dann schnell ab. „Es gibt auch Leute, die fragen, wie vielen Menschen ich schon das Leben gerettet habe. Das weiß ich nicht. Darüber denke ich auch nicht nach.“ Schon eher in Worte fassen kann er seine Beweggründe, Seenotretter geworden zu sein.
Frank Weinhold hat schon oft Einsätze erlebt, die zu Beginn nach Routine klingen, aber plötzlich in Lebensgefahr umschlagen. „Wenn eine Alarmierung reinkommt – meist per Funk, manchmal auch per Telefon oder von Menschen, die etwas beobachtet haben – dann kommt die voll ,aus dem Kalten‘, also immer, wenn man nicht damit rechnet. Manchmal fahren wir dann raus, und der Fall klingt ganz harmlos. Und dann kommen wir dort an, und es ist ganz anders.“
Besonders herausfordernd wird es oft dann, wenn die Menschen, die die Seenotretter gerufen haben, nicht mehr reagieren, einfach weil sie nicht mehr in der Lage dazu sind. „Wenn Schiffbrüchige oder Besatzungen von Havaristen selbst nicht mehr mithelfen können, ist das manchmal echt ’ne heiße Kiste. Dann müssen wir zum Beispiel Anlauf um Anlauf fahren, um Menschen abzubergen oder eine Schleppleine zu übergeben, oftmals bei rauer See – ich habe das selbst schon oft erlebt. Wir sind dann besonders vorsichtig, denn schnell sind sonst auch meine Leute, sind auch wir selbst in Gefahr."
Frank Weinhold genügen wenige Sätze, um die Herausforderungen eines Einsatzes auf See, bei jedem Wetter, zu skizzieren. Aus seinen Worten sprechen Besonnenheit und große Erfahrung, die er von der Pike auf gesammelt hat.
Obwohl er schon als Kind von der See träumte – statt Bildern von Stars und Sternchen hingen in seinem Zimmer Fotos von Schiffen – kam der 55-jährige Rostocker erst auf Umwegen zur Seefahrt. Der gelernte Fliesenleger machte zunächst seinen Meister auf dem Bau, war mit einer Gaststätte und mit einem Fuhrbetrieb selbstständig, verdiente sich mit Musik und am Theater Geld dazu – und war lange Wassersport-Jugendleiter und Segeltrainer. „Einmal habe ich einem Freund auf einem Fischkutter geholfen. Danach kam ein Brief vom Arbeitsamt mit der Aufforderung, mich zur Seediensttauglichkeitsprüfung zu melden. Ich war eingestellt, ohne dass ich es wusste“, erzählt Frank Weinhold und lacht.
Er fing „ganz unten“ an Bord an, und es gefiel ihm. „Da gab’s einen Kapitän wie aus ’nem Märchenbuch, mit langem weißem Bart. Der hat gesagt: ,Du musst selbst Kapitän werden, du kannst das.‘ Ich hab’ den angeguckt wie ’ne Eule. Ich habe immer gedacht, das ist für mich unerreichbar, aber der Kapitän hat gesagt: ,Du schaffst das!‘“
Den Rat des „Alten“ nahm sich Frank Weinhold zu Herzen. Er wechselte die Schiffe, arbeitete sich hoch, fuhr als Matrose mit Brief, schließlich mit Wachbefähigung. 2001 ging er auf die Seefahrtschule und wurde schließlich 2003 selbst Kapitän. „Mein Kutter lag genau hinter dem Seenotrettungskreuzer ARKONA in Warnemünde. Da entstanden schnell Kontakte. Wir haben bei Übungen der Seenotretter mitgemacht. Und so bin ich Freiwilliger bei der DGzRS geworden. Irgendwann kam der Vormann zu mir und hat gefragt: „Frank, willst du nicht fest bei uns anfangen?“
Auch in dieser Situation blieb sich Frank Weinhold treu, sagte nicht sofort zu, entschied nicht alleine, bat andere um eine ehrliche Einschätzung. „Ich habe Menschen, die mich wirklich gut kennen, um Rat gefragt, weil man selbst oft eine andere Meinung von sich hat.“ Sein Bootsmann gab letztlich den Ausschlag. „Er hat gesagt: ,Mach das! Alles, was du in der Seefahrt kannst, und alles, was du privat machst, passt genau da hin.“
Im Februar 2006 heuerte Frank Weinhold als fest angestellter Rettungsmann am Darßer Ort an, gelegen mitten im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Der dortige Nothafen ist der einzige Hafen an einem langen Küstenabschnitt ab Warnemünde Richtung Osten. In unmittelbarer Nähe zum Seeschifffahrtsweg Kadetrinne, der für die Großschifffahrt zum Nadelöhr wird, kommt der Station eine entscheidende strategische Bedeutung innerhalb des dichten Stationsnetzes der DGzRS zu.
Frank Weinhold fühlte sich gleich wohl dort, verbunden mit der Natur, an Bord eines mit hochmoderner Technik vollgestopften Spezialschiffes mit nur einem einzigen Zweck: Menschenleben zu retten.
Dennoch müssen auch erfahrene Seeleute bei den Seenotrettern noch einiges lernen. „Als Kapitän hatte ich zwar schon mein Patent und eine medizinische Grundausbildung. Aber als Seenotretter braucht es mehr: Ein Haufen Lehrgänge kam auf mich zu, Überleben und Sicherheit auf See, Englisch, Medizin, Rettungswagen fahren – das hab’ ich alles mitgenommen.“
Als 3. Vormann fuhr er bald nicht nur das Tochterboot, sondern als Vertreter auch den Seenotrettungskreuzer selbst. 2014 wurde er 2. Vormann und damit alle zwei Wochen für 14 Tage verantwortlich – für seine Wache und für das Schiff. Drei Jahre später wählten ihn die Seenotretter vom Darßer Ort zum 1. Vormann und Stationsleiter.
Noch etwas ganz anderes hat Frank Weinhold bei den Seenotrettern gelernt, und das nicht erst als Festangestellter, sondern schon bald nachdem er zum ersten Mal auf der ARKONA als Freiwilliger einstieg: Die besondere Organisations- und Finanzierungsform der DGzRS und die Menschen, die die Gesellschaft tragen, für sie leben und spenden, beeindrucken ihn sehr.
In der Finanzierung des 28 Meter langen neuen Seenotrettungskreuzers NIS RANDERS für den Darß durch Spenden aus dem ganzen Land zeigte sich vor wenigen Monaten einmal mehr die große Verbundenheit vieler Menschen aus dem ganzen Land.
Viele Menschen würdigen die Arbeit auch ganz direkt auf der Station, kommen am Liegeplatz zum Schnack an die Reling. „Sie wollen gucken, was wir machen, und wir zeigen ihnen gern, wo ihre Spende bleibt. Wenn wir mit Menschen ins Gespräch kommen, zum Beispiel beim Open Ship, dann macht es bei vielen richtig ,klick‘, und wir spüren, wie wir neue Begeisterung wecken. Das ist ein sehr schönes Gefühl.“