Ralf Baur

Ralf Baur

Eine dramatische Schiffskatastrophe vor der Küste des Libanon beeinflusst Tobias Pütz’ Handeln bis heute. Nach dem Untergang eines Frachters rettet er 2009 gemeinsam mit anderen deutschen Marinesoldaten 26 Schiffbrüchige.

Er blickt damals in ihre glücklichen Gesichter und sieht dabei noch etwas anderes: Wie sehr Menschen auf See den Naturgewalten ausgeliefert und wie verloren sie ohne die Hilfe anderer sind. Dieses ist ein wesentlicher Grund dafür, warum sich der 40-Jährige heute als freiwilliger Seenotretter auf der Station Damp engagiert.

Tobias Pütz hat die Hilfeschreie jener Schiffbrüchigen noch genau im Ohr: „Ich hörte nur ‚Help! Help!‘. Es war unvorstellbar.“ Es ist der 17. Dezember 2009: Im Mittelmeer ist das unter panamaischer Flagge fahrende Landviehtransportschiff „Danny F II“ auf seinem Weg von Uruguay nach Syrien in schwerer See gesunken. Etwa elf Seemeilen (rund 20 Kilometer) westlich der libanesischen Hafenstadt Tripoli kämpfen mehr als 80 Menschen um ihr Leben. „Wir wetterten gerade mit dem Minenjagdboot ‚Laboe‘ im Hafen von Beirut ab, als wir am späten Nachmittag den Notruf der ‚Danny F II‘ empfingen. Wenige Stunden später trafen wir als erste am Unglücksort ein, es war stockdunkel“, erinnert sich Tobias Pütz fast 14 Jahre später noch sehr genau an den prägenden Einsatz, der ihn bis heute nicht losgelassen hat.

Tobias Pütz auf dem Seenotrettungsboot NIMANOA

SEENOTRETTER WERDEN?

Sie fahren raus, wenn andere reinkommen – rund um die Uhr, bei jedem Wetter: unsere aktuell rund 1.000 Seenotretter. Um selbst unter widrigsten Bedingungen andere Menschen aus Not und Gefahr zu befreien, brauchen sie genau wie Tobias Pütz reichlich Erfahrung, Können und Mut.

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Im September 2023 trainiert Tobias Pütz (r.) bei einer groß angelegten Such- und Rettungsübung vor Eckernförde gemeinsam mit anderen Seenotrettern für den Erstfall.

Es offenbart sich den Soldaten eine nahezu unwirkliche Szenerie: In den Kegeln der eigenen Scheinwerfer sehen er und seine Kameraden einen dichten Teppich aus Schweröl, darin Wrackteile, allerlei Rettungsmittel und Tierkadaver. „Wir setzten unser Schlauchboot aus, für das ich verantwortlich war, und versuchten bei bis zu vier Meter hohen Wellen, starkem Wind und schweren Gewitterschauern, die Schiffbrüchigen aus der aufgewühlten See zu retten. Es war auch für uns gefährlich“, berichtet Tobias Pütz. Einen Seemann ziehen sie von einer Tür des gesunkenen Frachters. Manche zerren sie mit dem Kletterrettungsnetz an Bord, manche können noch selbst die Jakobsleiter hinaufsteigen. Er erzählt von den Gesichtern der Geretteten, in denen der Motorenmeister und Schiffsbetriebstechniker pure Dankbarkeit erkennt: „Sie waren einfach nur glücklich, als wir sie gerettet hatten und sie bei uns an Bord saßen. Das waren für mich ganz besondere Momente.“

Trotz der widrigen Verhältnisse gelingt es den Soldaten gemeinsam mit der Besatzung des Tenders „Mosel“ in der Nacht und in den folgenden zwei Tagen unter Einsatz ihres eigenen Lebens, 26 Seeleute vor dem sicheren Tod zu bewahren. Beide Schiffe der Deutschen Marine befinden sich zu diesem Zeitpunkt in dem Seegebiet auf der UNMission „United Nations Interim Forces in Lebanon“ (UNIFIL) – zu ihren Aufgaben gehört unter anderem die Ausbildung der libanesischen Marine. Insgesamt retten die an der Suchaktion beteiligten Schiffe 39 von 83 Menschen auf der „Danny F II“.

Korvettenkapitän Michael Giehran (l.) und Kapitänleutnant Jens Geppert (r.) erhalten vom DGzRS-Vorsitzer Michael Grobien im Mai 2010 in Kiel stellvertretend für die Besatzungen des Tenders „Mosel“ und des Minenjagdbootes „Laboe“ jeweils eine Bronzene Medaille für Rettung aus Seenot am Bande der DGzRS.

Nach ihrer Rückkehr von der UN-Mission verleiht die DGzRS den Besatzungen der beiden Marineschiffe im Mai 2010 für ihren mutigen und selbstlosen Einsatz unter besonderen Umständen die Bronzene Medaille für Rettung aus Seenot am Bande. Mit dieser Auszeichnung würdigen die Seenotretter hervorragende Rettungstaten außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches, bei denen Deutsche gerettet haben oder gerettet worden sind. „Diese Ehrung empfand ich als großes Kompliment und unglaubliche Wertschätzung. Sie machte mich mächtig stolz, weil uns die Profis damit bescheinigten, dass wir einen guten Job gemacht hatten“, sagt Tobias Pütz. Das große Lob und die bewegende Rettung vor dem Libanon verstärken bei ihm den seit frühen Tagen latent vorhandenen Wunsch, selbst Seenotretter zu werden.

Dabei ist er kein Küstenkind. Tobias Pütz wächst im hügeligen Lendringsen im Sauerland auf. Möwengeschrei und Kuttertuckern hört er lediglich für einige Wochen, wenn er gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern an der Nordseeküste im Urlaub ist. Dort verzaubert ihn die maritime Atmosphäre. Vielleicht ist es auch die Leichtigkeit dieser unbeschwerten Tage am Meer, die ihn für die Seefahrt schwärmen lässt und einen großen Wunsch in ihm auslöst: Er möchte Seemann werden. Daran sind allerdings die Seenotretter nicht ganz unschuldig: „Als Kind stand ich vor den Schwarz-Weiß-Fotos mit den Ruderrettungsbooten, darin die Rettungsmänner in ihren Korkwesten. Mich beeindruckte ihre selbstlose Hilfsbereitschaft und wie sie so ,verrückt‘ sein konnten, selbst bei Sturm rauszufahren, um andere zu retten“, sagt er.

Trotz seiner Schwärmerei für die See schließt Tobias Pütz zunächst eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker ab, bevor er sich 2003 bei der Deutschen Marine verpflichtet. Erst ist er in Wilhelmshaven, später in Olpenitz in Schleswig-Holstein und zum Schluss in Kiel stationiert. Als seine Dienstzeit mit sechs Jahren auf See 2011 endet, möchte er sich aufgrund seiner Erlebnisse vor dem Libanon unmittelbar für Seeleute und Wassersportler in Seenot einsetzen. Er bewirbt sich bei der DGzRS, es ist jedoch gerade keine Stelle als fest angestellter Rettungsmann frei. Um auf andere Weise schutzbedürftigen Menschen direkt helfen zu können, orientiert er sich um: Er schließt ein Studium in Sozialer Arbeit ab und ist viele Jahre als Sozialpädagoge im Jugendamt tätig – er engagiert sich für das Wohl von Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien. Heute ist er Zivilangestellter im Sozialdienst der Bundeswehr im Marinestützpunkt Eckernförde. Dort hilft der 40-Jährige Soldatinnen und Soldaten nach traumatischen Erlebnissen, in belastenden Momenten sowie bei allen anderen sozialen Herausforderungen.

„Diese Ehrung empfand ich als großes Kompliment und unglaubliche Wertschätzung. Sie machte mich mächtig stolz, weil uns die Profis damit bescheinigten, dass wir einen guten Job gemacht hatten“

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Seenotretter Akademie
Seenotrettungsboot NIMANOA/Station Damp der DGzRS

Mit Engagement dabei

Die Seenotretter verliert er neben dem Beruf, junger Familie und aufwendigem Hausumbau nie ganz aus den Augen. Doch erst ein kurzes Gespräch mit seiner Mieterin Theresa Oehlmann bringt ihn 2020 zur DGzRS: Just zum richtigen Zeitpunkt erzählt sie ihm von ihrem Ehrenamt als freiwillige Seenotretterin. Wenig später engagiert er sich genauso wie sie auf der Station Damp, die gerade mal sechs Autominuten von seinem Haus in Vogelsang-Grünholz entfernt liegt.

„Ich habe 2009 selbst erlebt, wie Menschen in einer aussichtslos erscheinenden Situation um Hilfe schreien, sich an ihr Leben klammern. Schiffbrüchige sind der See hilflos ausgeliefert. Wenn keine Hilfe kommt, sind sie verloren. Und genau für sie sind wir Seenotretter da. Deswegen engagiere ich mich in Damp“, betont Tobias Pütz. Sein Ehrenamt macht ihm sehr viel Spaß. „Ich fühle mich im Kreis unserer tollen Mannschaft sehr wohl.“ Und auch wenn er als alleinerziehender Vater zweier junger Kinder bei einem Alarm manchmal ihre Betreuung spontan organisieren muss, möchte er die Tätigkeit als freiwilliger Seenotretter nicht missen: „Ich bekomme unfassbar viel zurück und finde es einfach sehr wichtig, mich ehrenamtlich bei der DGzRS und zusätzlich in unserer Gemeinde zu engagieren. Für mich ist es eine sinnstiftende und vor allem lebenserfüllende Aufgabe.“

„Ich bekomme unfassbar viel zurück.“

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Michaela Runknagel lebt ihren Traum: Vor fast acht Jahren ist die 52-Jährige von der Schwäbischen Alb an die Ostsee gezogen. Auf Fehmarn hat sie eine neue Heimat mit einem erfüllenden Ehrenamt gefunden – seit 2019 engagiert sie sich auf der Insel als freiwillige Seenotretterin.

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Am Liegeplatz steht ein Seenotretter auf einem Schwimmporton vor einem Seenotrettungsboot und lächelt freundlich in die Kamera. . Zur Seite: Porträt: Gerd Hasselberg

Gerd Hasselberg ist Rüganer durch und durch. Der 62-Jährige ist tief verwurzelt in der Region und engagiert sich in Glowe im Nordosten der Insel. Er ist ehrenamtlich bei den Seenotrettern, aber auch bei der Freiwilligen Feuerwehr im Einsatz.

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Er ist Seenotretter mit Leib und Seele: „Der Eintritt ist freiwillig. Der Austritt ist freiwillig. Dazwischen ist Dienst. Dann geht es um Menschenleben, auch am eigenen Hochzeitstag.“

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