Manche legen noch einen Geldschein obendrauf
Die Sammelschiffchen stehen bundesweit in Apotheken und Arztpraxen, beim Bäcker und in Büros, in Geschäften und Gaststätten, Kontoren und Kanzleien. Genauso wichtig wie die Menschen, die eine der auffälligen Spendendosen der DGzRS aufstellen, sind die Ehrenamtlichen, die sie betreuen. Sie löschen regelmäßig deren „Fracht“ und werben zugleich um neue öffentlich zugängliche Liegeplätze. Annegret und Walter Müller aus Bremerhaven sind zwei von ihnen.
Walter Müller steht auf dem Sonnendeck der „Helgoland“. Die Fähre bringt ihn von Cuxhaven zur namensgebenden deutschen Hochseeinsel. Der pensionierte Lehrer blickt auf die ruhige Nordsee, schaut einer Silbermöwe beim Gleitflug in der leichten Brise zu. Dann wendet sich der 75-Jährige an die Fahrgäste. Schließlich soll sein Sammelschiffchen am Ende der Überfahrt möglichst voll sein. Er spricht freundlich einen Mann an, der mit einem Zehn-Euro-Schein die Spendendose belädt. Es entwickelt sich ein kurzes Gespräch über die Seenotretter. Am Ende sagt der Urlauber: „Dann habe ich ja viel zu wenig reingetan.“ Er steckt noch 20 Euro hinterher.
Solche Erlebnisse schätzt Walter Müller an seinem Ehrenamt besonders, sie bereichern sein Leben. Er mag den Kontakt mit Menschen, tauscht sich gerne mit ihnen aus: „Es ist beeindruckend, was manchen schon widerfahren ist.“ Die Aufgabe passt zu dem aufgeschlossenen 75-Jährigen – sie bereitet ihm genauso viel Freude wie seiner Frau Annegret. Über sie ist er überhaupt erst zu den Seenotrettern gekommen. Die heute 78-Jährige sammelt auf den Helgoland-Fähren seit 2007 für die DGzRS. „Eine Bekannte erzählte mir begeistert davon, da habe ich es auch mal ausprobiert“, erinnert sie sich. Ihr gefällt die ehrenamtliche Aufgabe, sie bleibt dabei. Fünf Jahre später stößt ihr Mann dazu.
Seitdem fährt einer von ihnen in der Sommersaison jeden Donnerstag die Tour von Cuxhaven nach Helgoland und wieder zurück. Unterstützt wird dies von der Reederei, die ihnen für ihre wichtige Aufgabe eine Freikarte spendiert. „Die Besatzung kennt uns, manche darunter schon seit Jahren, und empfängt uns immer sehr freundlich“, sagt Walter Müller. Inzwischen hat die Fähre auf der Nordseeinsel angelegt. „Mittlerweile kennen wir auf der Insel jeden Strandkorb, in einigen Geschäften begrüßen sie uns mit den Worten: ‚Die Sammler sind wieder da‘, erzählt Annegret Müller und schmunzelt.
Zu dem Sammelschiffchen in der Hand auf der Helgoland-Fähre kommen für Annegret Müller nach 2007 bald rund 80 weitere hinzu. Diese stehen allerdings in Hotels, Fischläden und Restaurants in ihrer Heimatstadt Bremerhaven. Die Rentnerin betreut die dortigen Liegeplätze, nachdem ihre Vorgängerin Adele Meier aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste. Zunächst ist Annegret Müller im Süden der Hafenstadt allein zu den verschiedenen Aufstellorten unterwegs, bald gemeinsam mit ihrem Mann. Im Fischereihafen und Stadtzentrum löscht das Ehepaar regelmäßig die „Fracht“ aus den Laderäumen der Schiffchen und zählt sie stets nach dem Vier-Augen-Prinzip.
Manche Sammelschiffchen sind schwer, manche leicht, wenn die beiden zum Leeren vorbeikommen. Doch der erste Eindruck kann täuschen: „Auch wenn viel Gewicht in einem Schiffchen drin ist, muss das nicht eine riesige Summe sein. Manchmal ist es genau umgekehrt“, weiß Walter Müller aus Erfahrung. Bei einigen Ankerplätzen reicht es, wenn sie einmal im Jahr vorbeischauen, bei anderen müssen sie die Spendendose alle zwei Monate leeren. „Vor allem in den Fischläden sind die Schiffchen schnell voll“, berichtet der 75-Jährige. Im Laufe der Zeit hat das Ehepaar auf seinen Touren einiges erlebt. Die beiden können manche Anekdote erzählen: Einmal rundet ein Gastwirt den Betrag großzügig auf, ein anderes Mal legt einer 50 Euro obendrauf, damit die vorher von ihm geschätzte Summe zustandekommt. Und gelegentlich steht ein Kneipengast bei der Leerung auf, um noch ein paar Münzen oder einen Schein zum Geld hinzuzulegen.
Weder Annegret noch Walter Müller haben einen persönlichen Bezug zur Seefahrt, dennoch haben sie sich für das Ehrenamt bei der DGzRS entschieden. „In einer Hafenstadt wie Bremerhaven kennt man die Seenotretter und deren wichtige Aufgabe. Mit unserer Arbeit einen kleinen Beitrag zu leisten, damit Menschen auf See gerettet werden können, erfüllt mich“, begründet Annegret Müller ihren Entschluss von vor 18 Jahren. Und ihr Mann ergänzt: „Ich habe in meinem Leben sehr viel Glück gehabt und möchte jetzt der Gesellschaft etwas zurückgeben.“ Darum weitet das Ehepaar im Laufe der Jahre seinen Landeinsatz aus: Die beiden sind mittlerweile bei Veranstaltungen auch außerhalb Bremerhavens dabei, helfen auch schon mal im Informationszentrum Mecklenburg-Vorpommern in Warnemünde aus und waren über viele Jahre als Helfer bei der dortigen „Hanse Sail“.
Unterdessen ist die „Helgoland“ auf der Rückreise zum Festland. Die Tagestouristen genießen die wärmende Sonne an Deck der Fähre, unterhalten sich über ihre Stunden auf der Hochseeinsel. „Ein kleiner Höhepunkt ist für mich immer, wenn einer der Fahrgäste regelmäßiger Förderer wird“, sagt Walter Müller. Mit dem Sammelschiffchen geht das Paar übrigens ausschließlich auf der Hinfahrt über das Schiff, da niemand zwei Mal angesprochen werden soll. In der Ferne wird Helgoland langsam immer kleiner, bald verschwindet der „Rote Felsen“ hinterm Horizont. Doch schon am nächsten Donnerstag wird einer von ihnen die Insel wiedersehen. Dann wird entweder Annegret oder Walter Müller erneut auf der Fähre für die Seenotretter sammeln.